Biographien

  • Nachsicht – Fragen an den Vater

    Biografie

    Im neuen Roman der Krefelder Schriftstellerin und Trägerin des Niederrheinischen Literaturpreises Liesel Willems ist die eigene Biographie Antrieb zum Schreiben geworden.

    Nachsicht ist die Sicht auf das Leben ihres Vaters - mit dem sie selbst nur zwölf Jahre ihres Lebens verbracht hat. Wie nähert man sich jemandem, der eigentlich so selbstverständlich zum Leben dazugehört und sich doch nicht durch ein klar greifbares Bild in den Vordergrund drängt? Wie setzt man sich mit einem Gegenüber auseinander dass nicht mehr befragt werden kann?

    Liesel Willems wählt die Nachsicht. Die Sicht auf die Zeit, in der ihr Vater geboren wurde und aufwuchs. In der er ihre Mutter kennenlernt, ihr Briefe schreibt, weil sie die ersten 17 Jahre der gemeinsamen Beziehung voneinander getrennt leben müssen.

    In diesen Zeugnissen einer Liebesgeschichte unter schwierigen Bedingungen, macht sich die Autorin auf die Suche nach dem Ausdruck ihres Vaters, nach seiner Persönlichkeit, nach seinem Blick auf die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus.

    Sie tritt mit ihm ins Gespräch und stellt die Fragen, die so viele ihrer Generation ihren Eltern stellen wollen, stellen sollten, stellen müssen. Sie weiß, dass sie keine Antworten von ihm bekommen kann und dennoch mit dem Stellen der Fragen die mögliche Schuld, die er auf sich geladen haben könnte, miteinberechnet.

    Sie fährt an die Orte, an denen er als Polizist und Soldat bei der Wehrmacht stationiert war. Sie besucht Archive und die heutigen Gedenkstätten der damaligen Tatorte. Sie lässt Zeitzeugen und Zeitdokumente zu Wort kommen und zieht ihre Mutter hinzu, um das unfassbare fassbar zu machen.

    Liesel Willems nimmt ihre Leserinnen und Leser mit in ihre eigene Sprachlosigkeit. In ihre Verzweiflung genauso wie in ihr Hoffen. Sie seziert mit ihrer Sprache vorsichtig und trotzdem in einer Klarheit, die keine Zweifel lässt an dem, was ihr begegnet: dem Menschlichen wie Unmenschlichen und der Sorge, dass auch die Nachsicht uns nicht schützt vor all dem, was auch jetzt wieder auf uns zukommen könnte, angesichts der Zunahme radikaler Tendenzen und der Infragestellung demokratischer Strukturen.
    IATROS-Verlag (2021)
    ISBN 978-3-86963-57